Schlichtungsverfahren bei Nachbarschaftsstreit
Schlichtung statt Klage vor Gericht
Nachbarn können ganz schön nervig sein. Jedes Wochenende gibt es Lärm durch Partys und viel zu laute Musik? Renovierungsarbeiten stören den Frieden? Pflanzen wuchern über den Zaun, oder der Hund bellt ständig? Vielleicht hat auch ein Sturm den gemeinsamen Zaun beschädigt − wer übernimmt die Kosten? Oder die Hecke zum Nachbargrundstück ist viel zu hoch und schluckt Licht, doch der Nachbar kümmert sich nicht um den Rückschnitt. Ein anderer häufiger Streitfall: Er nutzt immer wieder die Zufahrt zu Ihrer Garage, obwohl es keine offizielle Abmachung gibt und auch kein entsprechender Grundbucheintrag vorliegt.
Bevor Sie wütend zum Anwalt laufen, um Ihren Nachbarn zu verklagen, sollten Sie innehalten. Der Gesetzgeber schreibt in bestimmten Fällen einen besseren, schnelleren und günstigeren Weg vor: das Schlichtungsverfahren.
Das erfahren Sie in diesem Artikel:
- Was ist ein Schlichtungsverfahren?
- Die Rechtsgrundlage für das Schlichtungsverfahren – und wo es Vorschrift ist
- Der Schiedsmann im Nachbarschaftsstreit: So läuft das Schlichtungsverfahren ab
- Schlichtungsverfahren oder Gerichtsverfahren: Das sind die Vorteile
- Fazit: Ein Schlichtungsverfahren ist deutlich günstiger und besser für das Nachbarschaftsverhältnis
Was ist ein Schlichtungsverfahren?
Ein Schlichtungsverfahren ist im Kern der Versuch, einen Rechtsstreit beizulegen, ohne ein Gericht zu bemühen. Es dient vor allem der Entlastung der Justiz und der Wahrung des sozialen Friedens. Anders als vor Gericht, wo oft ein Urteil „von oben herab“ fällt und in der Regel ein Verlierer zurückbleibt, zielt die Schlichtung auf eine Einigung ab, mit der beide Seiten gut leben können.
Wichtig zu wissen: In einigen Bundesländern ist dieser Schritt bei bestimmten Konflikten keine freiwillige Option, sondern Pflicht. Man spricht von einer obligatorischen Streitschlichtung. Das bedeutet: Sie dürfen gar keine Klage beim Amtsgericht einreichen, bevor Sie nicht nachweislich versucht haben, den Streit außergerichtlich zu klären.
Dieses Verfahren wird oft auch als Schieds-, Güte- oder Gütestellenverfahren bezeichnet. Lassen Sie sich von den Begriffen nicht verwirren: Es hat nichts mit der komplexen Schiedsgerichtsbarkeit im Wirtschaftsrecht zu tun. Hier geht es um bürgernahe Lösungen. Die vermittelnde Person – der Schiedsmann oder die Schiedsfrau – arbeitet ehrenamtlich, ist unparteiisch und zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Die Rechtsgrundlage für das Schlichtungsverfahren – und wo es Vorschrift ist
Vielleicht fragen Sie sich, warum der Staat Sie dazu zwingt, sich mit dem Nachbarn an einen Tisch zu setzen, obwohl Sie sich längst nicht mehr grün sind. Die juristische Grundlage liefert der Bund mit § 15a EGZPO (Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung). Dieser Paragraf ist eine Art „Öffnungsklausel“. Er erlaubt den Bundesländern, Gesetze zu erlassen, die festlegen: Bei bestimmten Streitigkeiten ist eine Klage erst zulässig, wenn zuvor eine anerkannte Gütestelle eingeschaltet wurde.
Besonders relevant ist das Schlichtungsverfahren im Nachbarrecht. Typische Fälle sind:
- Überhang von Ästen oder Eindringen von Wurzeln (§ 910 BGB)
- Grenzbaum-Konflikte (§ 923 BGB)
- Belästigung durch Rauch, Gerüche oder Geräusche (§ 906 BGB)
Nicht alle, aber viele Bundesländer haben von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Eine obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage ist in vielen Bundesländern Pflicht.
In diesen Bundesländern ist das Schlichtungsverfahren üblich
- Bayern
- Brandenburg
- Hessen
- Mecklenburg-Vorpommern
- Niedersachsen
- Nordrhein-Westfalen
- Rheinland-Pfalz
- Saarland
- Sachsen-Anhalt
- Schleswig-Holstein
In diesen Ländern gilt: In den jeweils gesetzlich geregelten Fallgruppen – vor allem bei typischen Nachbarschaftsstreitigkeiten und in bestimmten Ehrschutzsachen – ist eine Klage vor dem Amtsgericht ohne vorherigen Schlichtungsversuch unzulässig und wird vom Gericht abgewiesen.
Kein gesetzlicher Schlichtungszwang nach § 15a EGZPO besteht demgegenüber derzeit in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Sachsen und Thüringen. Dort können Schieds- oder Gütestellen zwar freiwillig angerufen werden, sind aber keine zwingende Voraussetzung für eine Klage.
Häufige Streitfälle im Nachbarschaftsrecht − und ihre Lösung
In unseren praxisnahen Beiträgen erklären wir die Rechtslage von häufigen Streitfällen und geben Tipps, wie Sie am besten vorgehen sollten:
- Umgang mit überhängenden Ästen vom Nachbarn – was ist erlaubt? »
- Darf ich einen Zaun zum Nachbarn bauen: Wie ist die Rechtslage? »
- Nachbarschaftsrecht: Ist offenes Feuer im Garten erlaubt? »
- Wegerecht: Wer muss den Weg pflegen? »
- Wärmepumpe: Lautstärke und rechtliche Abstandsregelungen »
- Was darf ich auf dem Balkon? »
Der Schiedsmann im Nachbarschaftsstreit: So läuft das Schlichtungsverfahren ab
Sollten Sie tatsächlich einen Schiedsmann im Nachbarschaftsstreit benötigen, ist der Ablauf weit weniger formell und kompliziert als ein Gerichtsprozess. Hier sind die fünf Schritte zum Frieden:
-
Antrag stellen
Der erste Schritt ist ein formloser Antrag bei der zuständigen Schiedsstelle. Diese ist meist bei der Gemeinde oder Stadt angesiedelt. Den Antrag können Sie oft schriftlich oder mündlich zur Niederschrift einreichen. Nennen Sie darin den Grund des Streits und Ihr konkretes Ziel (z. B. „Der Nachbar soll die Hecke auf zwei Meter kürzen“).
Der Antrag hemmt die Verjährung. Sie sichern sich also Ihre Ansprüche. Zudem müssen Sie einen kleinen Kostenvorschuss (meist ca. 50 bis 75 Euro) leisten.
Tipp: Wenn Sie nachweislich mittellos sind, kann die Schiedsperson in Ausnahmefällen auf Gebühren und Auslagen verzichten.
-
Persönliche Vorladung
Der Schlichter prüft den Antrag und lädt beide Parteien – also Sie und Ihren Nachbarn – zu einem Termin ein. Diese Ladung ist keine unverbindliche Einladung zum Kaffeekränzchen. Wer unentschuldigt fernbleibt, muss je nach Bundesland mit einem Ordnungsgeld rechnen. Der Gesetzgeber will, dass sich die Streitparteien persönlich begegnen.
-
Das Verfahren und die Verhandlung
In der Verhandlung, die nicht öffentlich ist, versucht die Schiedsperson, den Streit beizulegen. Es gibt keine starren Prozessregeln wie vor Gericht. Oft werden Methoden der Mediation oder Konfliktmoderation genutzt. Der Schiedsmann hört sich beide Seiten in Ruhe an. Er bewertet nicht juristisch, wer „recht hat“, sondern sucht nach einem Kompromiss. Sie dürfen einen Beistand (z. B. Anwalt oder Partner) mitbringen, aber Ziel ist es, dass die Nachbarn selbst miteinander reden.
-
Der Vergleich
Das ideale Ergebnis ist die Einigung. Wenn Sie und Ihr Nachbar einen Kompromiss finden, wird dieser in einem Ergebnisprotokoll festgehalten und von beiden unterschrieben. Das Besondere: Dieser Vergleich ist ein rechtsverbindlicher Titel (gemäß § 794 ZPO). Das bedeutet, die getroffenen Vereinbarungen sind 30 Jahre lang vollstreckbar.
Verpflichtet sich der Nachbar im Vergleich zur Zahlung von 500 Euro oder zum Rückschnitt der Hecke und tut es dann doch nicht, können Sie mit einer Ausfertigung des Vergleichs direkt die Zwangsvollstreckung beim Amtsgericht beantragen – ganz ohne neuen Prozess.
-
Wenn es keine Einigung gibt
Nicht immer lässt sich ein Streit beilegen. Scheitert der Einigungsversuch, stellt die Schiedsperson eine sogenannte Erfolgslosigkeitsbescheinigung aus. Dieses Dokument ist Ihre „Eintrittskarte“ für das Gericht. Nur mit diesem Papier dürfen Sie anschließend Klage einreichen.
Schlichtungsverfahren oder Gerichtsverfahren: Das sind die Vorteile
Natürlich hat jedes Verfahren zwei Seiten. Wer absolut kompromisslos auf sein Recht pocht, wird Nachteile beim Schlichtungsverfahren sehen, da es ihn Zeit kostet. Objektiv betrachtet überwiegen jedoch oft die Vorteile. Im Gegensatz zu einem Gerichtsverfahren gibt es hier keinen Sieger und keinen Verlierer. Wenn die Parteien selbst zu einer für beide Seiten akzeptablen Einigung kommen, ist das oft befriedigender als ein Urteil. Haben sich die Parteien bei einem Schiedsmann geeinigt, ist der Streit beigelegt und das Verhältnis der Nachbarn meist besser als zuvor.
Ein Schiedsverfahren kostet außerdem nur etwas über 50 Euro (laut Schlichtungs- oder Kostenordnung) und ist damit deutlich günstiger als ein Gerichtsverfahren. Nach der Einigung können die Nachbarn diese Kosten und die Auslagen der Schiedsperson für Schreibaufwand, Zustellgebühren oder Fahrtkosten teilen.
Ein Schiedsverfahren dauert in der Regel drei Monate ab Antragstellung, wodurch Zeit und Nerven gespart werden. Scheitert das Verfahren, kann man immer noch klagen. Wer allerdings von Anfang an klagen möchte, empfindet das obligatorische Verfahren als lästige Verzögerung.
Schiedsverfahren und Gerichtsverfahren im Vergleich
|
Merkmal |
Schlichtungsverfahren |
Gerichtsverfahren |
|---|---|---|
|
Kosten |
Sehr günstig (ca. 50–100 € |
Teuer (Gerichtskosten + Anwaltskosten, |
|
Dauer |
Schnell (oft in wenigen |
Langwierig |
|
Ergebnis |
Einigung/Vergleich |
Urteil |
|
Atmosphäre |
Persönlich, vertraulich, deeskalierend |
Förmlich, öffentlich, oft verhärtend |
|
Rechtskraft |
Vergleich ist 30 Jahre |
Urteil ist 30 Jahre |
|
Beziehung |
Nachbarschaftsfrieden |
Verhältnis manchmal |
Fazit: Ein Schlichtungsverfahren ist deutlich günstiger und besser für das Nachbarschaftsverhältnis
- Ein obligatorisches Schlichtungsverfahren ist in einigen Bundesländern die zwingende Voraussetzung, bevor eine Klage bei Nachbarschaftsstreitigkeiten zulässig ist.
- Die gesetzliche Grundlage bildet § 15a EGZPO, der den Ländern die Einführung solcher Gütestellen erlaubt.
- In der Schlichtung versucht eine neutrale Person, eine gütliche Einigung zu erzielen, die als Vergleich 30 Jahre lang vollstreckbar ist.
- Das Verfahren spart im Vergleich zum Gerichtsprozess viel Geld, Nerven und Zeit.
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