Noch nachhaltiger als einfaches Recyceln ist die Nutzung eines Rohstoffs über mehrere Stufen: Hier werden zunächst alte Tageszeitungen ...
Zirkuläres Bauen − Baumaterialien im endlosen Kreislauf
Nachhaltiges Bauen neu gedacht
Bislang galt in der Baubranche das Motto: entnehmen − verbauen − entsorgen. Doch angesichts von Ressourcenknappheit und Umweltbelastung stößt diese sehr linear gedachte Methode zunehmend an ihre Grenzen. Neue, zirkuläre Ansätze sind gefragt, damit Materialien lange und möglichst ohne Qualitätsverlust in geschlossenen Kreisläufen genutzt werden können und nicht als Abfall enden. Das Bauen steht vor einer umfassenden Transformation.
Wir zeigen, welche Möglichkeiten das zirkuläre Bauen schon heute bietet.
Das erfahren Sie in diesem Artikel:
Was ist zirkuläres Bauen?
Zirkuläres Bauen bedeutet, Ressourcen in nahezu endlosen Kreisläufen immer wieder zu nutzen, statt sie als Abfall zu entsorgen. Dieses Prinzip nennt sich auch Kreislaufwirtschaft.
Beim zirkulären Bauen kommen in Gebäuden möglichst langlebige und schadstoffarme Materialien und Bauteile zum Einsatz, die nach ihrem Lebenszyklus vollständig wiederverwertet werden können. Das setzt voraus, dass sie sich bei einem Rückbau sortenrein trennen, aufbereiten, reparieren oder kompostieren lassen.
An diesem Punkt setzt das sogenannte Urban Mining an. Dabei werden Gebäude von Anfang an so geplant, dass sie als zukünftige Materialdepots zur Verfügung stehen. In diesem Artikel von Cradle wird erklärt, wie Urban Mining funktioniert »
Aus Alt mach Neu: Zirkuläres Bauen
Das Recyclinghaus in Hannover-Kronsberg hat nicht nur ein außergewöhnliches Äußeres, sondern besteht auch komplett aus wiederverwendeten oder recycelten Baustoffen. In unserer Reportage stellen wir das besondere Wohnhaus ausführlicher vor »
Hohes Potenzial für zirkuläres Bauen in Deutschland
Mit rund 55 Prozent verursacht der Bausektor mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens im Land und vergeudet dabei wertvolle Ressourcen. Gut 17.000 Gebäude werden in Deutschland jährlich abgerissen, im gleichen Zeitraum wird nicht einmal 1 Prozent des Gebäudebestandes saniert.
Laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) liegt das Wiederverwendungspotenzial aller verbauten Rohstoffe im Bauwesen derzeit bei gerade mal 7 Prozent. Es könnte aber – so wird geschätzt – bis 2050 auf bis zu 20 Prozent steigen. Denn: Nach fachlich fundiertem Rückbau und entsprechender Aufbereitung wären viele Abbruchstoffe durchaus weiter nutzbar.
Kein Wunder also, dass Begriffe wie Zirkularität, Cradle-to-Cradle, Kreislaufprinzip und Circular Economy derzeit auch beim Bauen die Diskussion um Nachhaltigkeit und Klimaschutz bestimmen. Sie alle meinen im Kern das Gleiche: Rohstoffe für Produkte und Gebäude so einzusetzen, dass sie entweder in gleicher Qualität erhalten und wiedergenutzt oder komplett abbaubar in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können.
Kreislauffähig: Wiederverwertbare Bauteile
Der 2017 auf dem Gelände der Zeche Zollverein in Essen fertiggestellte Sitz der RAG ist das erste Gebäude in Deutschland, das die Idee der Kreislaufwirtschaft konsequent aufgreift und auch im Rahmen des EU-Forschungsprojekts „Buildings as Material Banks“ als Pilotprojekt gilt. Das Büro Kadawittfeldarchitektur setzte hier unter anderem Cradle-to-Cradle-zertifizierte Baustoffe bei der Fassade und in den Innenräumen ein, die besonders leicht rückgebaut und wiederverwendet werden können.
Schweizer Reallabor
Im Schweizer Forschungsgebäude NEST werden Technologien, Materialien und Systeme für nachhaltiges Bauen unter realen Bedingungen getestet, weiterentwickelt und validiert. Damit soll erreicht werden, dass innovative Bau- und Energietechnologien schneller auf den Markt kommen.
Sortenrein trennen: eine Grundvoraussetzung zirkulären Bauens
Damit Rohstoffe wiederverwertet werden können, sollten sie möglich nicht mit anderen Materialien vermischt oder fest verbunden sein. Je leichter sich Materialien und Bauteile sortenrein trennen lassen, umso größer ist die Chance für den erneuten Einsatz.
Rohstoffe wie Glas und Stahl werden schon heute in größerem Umfang in die Produktion zurückgeführt. Ortbeton, Mauerziegel, Glaswolle und Holzfaserplatten hingegen nur in sehr geringen Mengen. Grund dafür sind unter anderem die Qualitätsanforderungen an die Materialien nach ihrer Aufbereitung.
Beispiele für zirkuläres Bauen
Die „Kreislaufwand“
Wie es funktionieren kann, Bauteile sortenrein zu trennen, nachdem sie nicht mehr benötigt werden, zeigen innovative Produkthersteller.
Zum Beispiel bei der „Kreislaufwand“. Hier können am Ende der Nutzungsphase eines Gebäudes alle Bestandteile sortenrein entnommen und vollständig wiederverwendet werden. Nicht nur das: Der verwendete Klinker ist selbst schon ein Recyclingprodukt aus hundert Prozent Sekundärmaterial in Form von keramischen Ausschüssen. So wird kein frisch aus der Tongrube angelieferter Rohstoff benötigt.
Die „Kreislaufwand“ besteht aus zwei Schichten: innen eine Massivholzwand aus tragenden Holzbausteinen, die auf der Baustelle aufeinandergesteckt und mit Holzdübeln verzahnt werden.
Die Holzbausteine werden mittels Robotertechnik hochpräzise aus Kalamitätsholz oder kostengünstigem Industrieholz hergestellt. Es stammt aus Rückbauprojekten des Unternehmens Concular. Die Stuttgarter haben sich innerhalb weniger Jahre vom Start-up zum Experten für zirkuläres Bauen und zum Marktführer für die Wiedereinbringung von Materialien entwickelt.
Außen dient eine Klinker-Verblendfassade als Wetterschutz. Sie ist nicht mit Mörtel verfugt, sondern nur über lose Vinylstecker verbunden. Wird die Kreislaufwand später rückgebaut, können alle Materialien sortenrein entnommen und wiederverwendet werden.
Doppeltes Recycling
Ein nachhaltiges Dämmmaterial ist Zellulose. Zelluloseflocken kommen häufig bei der Einblasdämmung zum Einsatz. Damit können Hohlräume in Häusern günstig und schnell gedämmt werden. Hier erfahren Sie, wie das funktioniert »
... zu Zellulose-Dämmflocken verarbeitet. Die gebrauchte Dämmung kann später weiter zu Wellpappe verarbeitet werden.
Gebäude als Materiallager
Der Architekt Thomas Rau hat das Online-Rohstoffregister Madaster entwickelt, das Gebäude als Materiallagerstätten erfasst. Im Neubau der niederländischen Triodos Bank wurden seine Ideen umgesetzt und die Materialien bis zur kleinsten Schraube in einem Pass erfasst. Die Bank ist übrigens das erste Gebäude der Welt, dessen Materialwert als Vermögenswert in die Bilanz aufgenommen wird.
Wegweisend: der Gebäude-Ressourcenpass
Während die lineare „Wegwerfwirtschaft“ auf „Entnehmen – Konsumieren – Entsorgen“ beruht, setzt das zirkuläre Bauen auf das Prinzip „Erfassen – Zerlegen – Wiederverwerten“. Voraussetzung, dass der Kreislauf funktioniert, ist also zu erfassen, was verbaut wurde.
Dieses Ziel verfolgt der digitale DGNB-Gebäude-Ressourcenpass, der als Teil der DGNB-Zertifizierung im Februar 2023 vorgestellt wurde. Er erfasst nicht nur die in einem Gebäude verbauten Materialien transparent und detailliert, sondern dokumentiert auch deren Kreislauffähigkeit sowie die Treibhausgasemissionen des Gebäudes und zeigt Optimierungspotenziale auf. All das erhöht auch die langfristige Rentabilität einer Immobilie.
Bei Concular und im Online-Rohstoffregister Madaster ist der DGNB-Gebäude-Ressourcenpass bereits integriert. Auf Bundesebene ist Ähnliches geplant.
Altbauten als Rohstofflager: Links zu Baustoffbörsen
Ressourcenschonung lohnt sich auch bei Neubauten – zum Beispiel mit dem Einsatz recycelter Materialien. So nutzen Baustoffbörsen wie Restado die Prinzipien des „Urban Mining“, um das Potenzial von Städten als „Rohstofflager“ zu heben. Sie bieten gebrauchte Baumaterialien auf einem Online-Marktplatz an.
- www.restado.de »
- www.bauteilekatalog.de »
- www.materialrest24.de »
- www.historische-baustoffe.de »
- www.reuseandtrade.de »
50 Mrd. Tonnen Altmaterial steht rein rechnerisch für Rückbau und Wiederverwendung zur Verfügung. So könnte der Neueinsatz von Baustoffen allein in Deutschland um jährlich rund 534 Mio. Tonnen reduziert werden.
2022 plädierte der Bundesrat zudem dafür, dass die Regierung eine gezielte Förderung von Baustoffrecycling durch die staatliche KfW-Bank prüfen soll.
Unsere Beispiele und Ansätze zeigen: Nur wenn verschiedenste Bauakteure – und die Politik – an einem Strang ziehen, können Kreisläufe beim Bauen in Gang gesetzt werden. Bis Bauabfälle vollständig und ohne Qualitätsverlust wiederverwendet werden, ist es noch ein langer Weg. Aber ein Anfang ist gemacht.
Text: Iris Darstein-Ebner
Das könnte Sie auch interessieren
Jetzt Abo oder Gratisheft bestellen!
Mehr Infos, Tipps und Gewinnspiele rund ums Bauen, Wohnen & Leben in unserer Zeitschrift Mein EigenHeim.
Preise im Gesamtwert von 5.000 Euro!
Jetzt mit etwas Glück einen von 33 attraktiven Preisen im Gesamtwert von 5.000 Euro gewinnen! Hier geht's zum Gewinnspiel von Wüstenrot »