Buchrezension: Robert Seethalers "Ein ganzes Leben"

Eine Lebens- und Liebesgeschichte

Foto: Pexels/Andrea Sagui (Hintergrundmotiv)

Die Geschichte einer Liebe. Einer Liebe, die nicht viele Worte braucht. Und die Geschichte von der Elektrifizierung der Alpen. Vom Seilbahnbau und vom Kriege. Die Geschichte einer verlorenen Liebe. Eine schöne und grausame Geschichte. Über ein ganzes Leben.

Lesen Sie hier einen Gastbeitrag von Rainer Horn und seine Buchrezension zu Robert Seethalers "Ein ganzes Leben".

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An einem Februarmorgen des Jahres 1933 findet Andreas Egger den Hörnerhannes. Unter einem Fellhaufen liegt der sterbenskranke Ziegenhirt. Egger trägt ihn ins Tal. Sie stürzen. Der Ziegenhirt rennt davon. Rennt quasi dem Tod davon. 40 Jahre später wird die Leiche gefunden. In einer Gletscherspalte. Man bringt den tiefgekühlten Hörnerhannes ins Dorf. Nur einer im Dorf weiß, dass es der Ziegenhirt ist. Und dass er Hörnerhannes heißt. Andreas Egger.

Das ist der fulminante Aufschlag des Romans. Von da an geht die Geschichte manchmal zurück. Und dann wieder vor. Andreas Egger wird als Kind mit einem Säckle Geld um den Hals bei einem Bauern abgegeben. Der Bauer lässt den Andreas schuften und verdrischt ihn ständig. Einmal bricht ihm der Bauer beim Verhauen das Bein. Als Andreas älter wird, wird er immer stärker. Und geht. Und mietet sich sein eigenes Haus. Mit Garten. Und lernt Marie kennen. Marie schafft beim Gastwirt. Grad so wie Andreas Egger ins Dorf gegangen ist und nach Arbeit gesucht hat kommt auch Marie ins Dorf und sucht Arbeit. Der Wirt sagt: Zeig Deine Händ! Und schon hat sie den Job. Übrigens: Sie bekommt den Job nicht, weil die Finger besonders zart sind, die Hände gepflegt und die Fingernägel mit Nagelfolie, Acrylnägeln oder Gelnägeln aufgehübscht sind. Sondern weil Maries Hände zeigen, dass sie körperlich hart arbeiten kann. Sie bekommt den Job wegen der Schwielen an den Händen.

Als Andreas Egger in der Wirtschaft einen Krapfen isst und einen Schnaps trinkt, schießt Amor seinen Pfeil durch die beiden. Also durch Marie und Andreas. Der Wirt merkt es gleich und macht das dem Andreas auch gleich klar: „Die Marie ist eine für die Arbeit und keine für die Liebe, verstanden? Verstanden, sagte Egger. Und spürte einen feinen Schmerz in der Herzgegend. Vor Gott gibt es keine Lügen, dachte er, vor einem Wirt schon.“

Andreas Egger wird zum Kriegsdienst eingezogen. II. Weltkrieg. Er kämpft im Kaukasus. Und wird gefangen genommen. Dann ist der Krieg zu Ende: „Die Tatsache, dass der Krieg zu Ende war, war zwar unbestreitbar, hatte aber auf das Lagerleben keine Auswirkungen. Die Arbeit blieb dieselbe, die Hirsesuppe war dünner denn je und die Fliegen kreisten weiterhin unbeeindruckt um die Scheißhausbalken.“

Irgendwann, nach langer Wanderung, kommt Egger wieder heim. „Der Bürgermeister war nun kein Nazi mehr, statt Hakenkreuzfähnchen hingen wieder Geranien vor den Fenstern und auch sonst hatte sich viel verändert im Dorf.“

Für Egger hat sich alles verändert. Seit eine Lawine ihm seine Marie genommen hat. Aber: er lebt weiter. Arbeitet weiter. Erlebt weiter. Sieht die Schönheit der Berge. Irgendwann zeigt er Touristen die Schönheit der Berge. Und es gibt noch eine kleine Liebe mit der Dorfschullehrerin.

Aber lesen Sie selbst. Lesen Sie Robert Seetaler: „Ein ganzes Leben“. Und wenns geht, alle anderen Romane von Robert Seetaler gleich mit. Jetzt aber: Warum lesen so viele Leute diesen Roman? Okay, weil Denis Scheck „Ein ganzes Leben“ empfiehlt. Und, hier meine Idee: Weil der Andreas Egger in sich ruht. Er ist in seiner Mitte. Er ist mit wenig zufrieden. Er macht das Beste draus. Er zeigt uns eine quasi-religiöse Festigkeit. Und vor allem: Er spinnt nicht. Und wenn die Welt spinnt, dann ist das Balsam für die lesende Seele. Wenn man da im Buch einen trifft, der nicht spinnt. Also: Spinnen Sie nicht. Machen Sie es wie Andreas Egger: Verschaffen Sie sich ein schönes Haus, arbeiten Sie im Garten, ruhen Sie in sich. Bleiben Sie in der Mitte. Und natürlich: Kaufen, verschenken und lesen Sie: Robert Seetaler: Ein ganzes Leben. Übrigens: einen Film gibt’s auch. Und da ist nur der Schluss gelogen. Der Rest stimmt.

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben. Hanser, ISBN: 978-3-446-24645-4, 19 Euro.

Dieses Buch wurde auch verfilmt: Hier geht's zum Trailer

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Rainer Horn. Seine gesamten Buchrezensionen finden Sie hier: Buchrezensionen unseres Gastautoren Rainer Horn »