Buchrezension: "Madame Bovary" von Gustave Flaubert

Geschichte einer Ehebrecherin

Die Geschichte einer Liebe. Und noch einer Liebe. Und einer dritten Liebe. Und die Geschichte von einem Wechsel. Und noch einem Wechsel. Und einem x-ten Wechsel. Bis zum Bankrott. Der Finanzen. Und des Lebens.

Lesen Sie hier einen Gastbeitrag von Rainer Horn und seine Buchrezension zu Gustave Flauberts „Madame Bovary“.

*******************

Rolf Döbeli, Schweizer, ändert seinen Namen. In Rolf Dobelli. Klingt auch besser. Und zwischenzeitlich ist er bekannt. Bekannt geworden durch interessante Lebensvereinfachungshilfebücher. „Die Kunst des klaren Denkens“. „Die Kunst des klugen Handelns“. „Die Kunst des guten Lebens“. Und neuerdings: „Die Not-To-Do-Liste“. Darin aufgeführt unter Kapitel 7: Das Geheimnis einer schlechten Ehe. Mit fatalistischem Statement: „Wenn Ihre Ehe jämmerlich ist, ist Ihr Leben jämmerlich.“ Das Gegengift gegen die jämmerliche Ehe hat Herr Dobelli aber schon zwei Kapitel vorher rausgelassen. Aus Kapitel 5 heraus empfiehlt er uns (jenen, die schon  geehelicht haben): Lesen Sie Romane. „Und ja, ich meine nicht jene Romane mit den gold-rosa glänzenden Umschlägen, die Sie am Kiosk kaufen können. Sondern Literatur, große Literatur. Darin geht es meist um zerrüttete Beziehungen. Durch den Kontrasteffekt wird Ihre Frau oder Ihr Mann Sie dann vielleicht doch als eine Art Märchenprinz beziehungsweise -prinzessin sehen.“

Genau so ist das in Gustave Flaubert: „Madame Bovary“. Auch da geht es um eine jämmerliche Ehe. Eine zerrüttete Beziehung. Und durch den Kontrasteffekt, den Blick in die tiefe Ehe-Hölle, werden Sie dann Ihre traute Gattin, Ihren trauten Gatten in hellem Licht erblicken. Ehrlich, mir ging das so. Und ich bin glücklich verheiratet. Naja, seit der Lektüre von „Madame Bovary“ noch etwas glücklicher.

Die Madame selber, also Frau Bovary aus dem Roman, die ist erst mal im Kloster. Und liest heimlich romantische Romänchen. Die durch ein altes Mütterchen ins Kloster geschleust werden. Und von den Nönnchen begierig verschlungen werden. Dann, nach einigen Jahren entnonnt, auf dem Hof des lieben Herrn Papa lebend, wird Emma bemannt. Äh, geheiratet. Von einem biederen Arzt. Charles. Dem es in der Hochzeitsnacht quasi die Lamellen raushaut: „Am anderen Morgen war er offensichtlich wie neu geboren. Er und nicht Emma war tags zuvor sozusagen die Jungfrau gewesen. Die junge Frau beherrschte sich völlig und ließ sich nicht das geringste anmerken. Die größten Schandmäuler waren sprachlos; sie standen da wie vor einem Wundertier. Charles freilich machte aus seinem Glück kein Hehl“. Später dann schnürt ihm zu das Unglück die Kehl.

Aber erst mal nimmt die Ehe ihren Lauf. Dann kommt das erste Kind. Emma ist keine gute Mutter. Das muss man schon erwähnen, obwohl sonst eine ganz bezaubernde Frau. Bezaubert hat sie auch einen Weiberhelden. Der es bald auf sie abgesehen hat. Emma ist aber auch durch den Charles eine leichte Beute. Weil Charles „Art zu sprechen war platt wie das Trottoir auf der Straße“. Charles „lehrte sie nichts, verstand sich auf nichts und erstrebte nichts“. Und so kommt es, wie es kommen muss. Emma wird Opfer eines Rudolf. Eines Rudolf, dessen „brutales, eitles Herrentum sich im Umgang mit Rassepferden und leichten Damen“ einst entwickelt und gekräftigt hatte.

Es kommt so: „Sie bog ihren weißen Hals zurück, den ein Seufzer schwellte, halb ohnmächtig und tränenüberströmt, die Hände auf ihr Gesicht pressend und am ganzen Leib zitternd, gab sie sich ihm hin“. Doch als Emma dann nach einigen Monaten innigster Liebe und höchster Leidenschaften mit dem Herrn Rudolf durchbrennen will, besinnt der sich auf Sesshaftigkeit, Sparsamkeit und Enthaltsamkeit.

Emma fällt in tiefsten anhaltenden schrecklichen Liebeskummer. Bis dann doch nach qualvollen Jahren, in einer Kirche ein neuer Liebhaber in Erscheinung tritt. Ein wundervoller Abschnitt des Buches, quasi Höhepunkt des Romans, grad auch mehrere Höhepunkte (so ahnt man) streifend. Verbergende Hülle der wiegenden Leidenschaft: Eine Kutsche. An Emmas Seite: Leon. Jugendliebe, und grad neu entflammt. Die Kutsche setzt sich in Bewegung. Die Vorhänge zieht man zu. Als der Kutscher anhält, ruft es aus dem Innern: „Weiterfahren“. So kreist der Kutscher samt Gefährt und Pärchen einige Stunden durch das Städtchen. „Er begriff nicht, welche Bewegungswut in seinen Fahrgästen steckte, so dass Sie nirgends haltmachen wollten. Er versuchte es ein paarmal, aber jedes Mal erhob sich hinter ihm ein zorniger Ruf. Am Hafen, zwischen den Karren und Fässern, in den Straßen und an den Ecken machten die Bürger große Augen ob dieses in der Provinz ungewohnten Anblicks: Ein Wagen mit herabgelassenen Vorhängen, der immer wieder auftauchte, bald da, bald dort, immer verschlossen wie ein Grab.“

Und auf ein solches stürzt Emma unaufhaltsam zu. Nachdem der Liebhaber langsam schwächelt, der Ehemann langsam misstrauisch wird und die Wechsel langsam nicht mehr bezahlt werden können. Im großen Finale hilft nur noch Arsen. Aus, Klappe zu, Emma tot, der Charles dann auch. Roman aus.
Und Ehe gerettet. Also die vom Leser. Meine. Und Ihrer Ehe wird es auch guttun. Lesen Sie aus Neugier. Lesen Sie zu therapeutischen Zwecken. Lesen Sie statt Paartherapie: Gustave Flaubert: „Madame Bovary“.

Ach ja, und machen Sie es nicht wie Emma. Keine Wechsel ziehen. Sondern sparen. Am besten Bausparen.

Gustave Flaubert: Madame Bovary. Suhrkamp/Insel, ISBN: 978-3-458-36168-8, 9,95 Euro.

Dieser Roman wurde verfilmt: Hier geht's zum Trailer

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Rainer Horn. Seine gesamten Buchrezensionen finden Sie hier: Buchrezensionen unseres Gastautoren Rainer Horn »