Buchrezension: Dörte Hansens "Altes Land"
Bestsellerroman um ein altes Fachwerkhaus
Dörte Hansens "Altes Land" ist ein Heimatroman, der ein altes Fachwerkhaus an der Elbe in den Mittelpunkt der Geschichte stellt. In dem alten, großen Bauernhaus finden deutsche Flüchtlingsschicksale ein Zuhause.
Lesen Sie hier einen Gastbeitrag von Rainer Horn und seine Buchrezension zu Dörte Hansens "Altes Land".
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Denis Scheck, süddeutscher Reich-Ranicki am bewölkten Literaturkritikerhimmel meint: Landlust-Leser lesen es. Denis Scheck hat eine Eigenheit: Die guten Bücher kommen auf einen Stapel, die schlechten auf einen Müllhaufen, quasi Ascheimer. Die Realität: das Gute schwindet, flieht, vergeht. Der Scheiß bleibt. Dagegen kämpft er an. Kein Scheiß ist auch Dörte Hansens „Altes Land“. Obwohl in Hansens Werk Anne Hove aus der Stadt flieht. Weil sich ihr literaturproduzierender Ehemann lieber mit der Lektorin ins Bett legt. Nun zieht Anne heulend, quasi Aschenputtel, ins alte Land. Zu Tante Vera. Etwas Arbeit lässt ihr der bald Ex-Ehemann noch. Den verzogenen Sohn. Der nun, obwohl vegetarisch unterernährt aufgewachsen im neuen Landkindergarten, den größten Berg Gulasch reinhaut.
Überhaupt Land. Es geht um einen Landstrich, der heißt „altes Land“. So neben Hamburg. Größtes Obstbaugebiet Europas. Hab ich auch nicht gewusst. Darum sind auf dem Einband von Dörte Hansens „altem Land“ rote Kirschen drauf und ein Star. Ein Star ist ein Vogel, der gern Kirschen frisst. Das hab ich schon immer gewusst. Was ich auch gewusst habe: Aus Kirschen kann man Schnaps machen. Kirschschnaps und anderen Schnaps trinken Anne im Liebeskummer und Vera als begleitende Trösterin in so argen Mengen, dass Anne am nächsten Tag arg spucken muss.
Tante Vera ist Jägerin, macht selber Wurst. Zum Beispiel Rehwurst. Was sie nicht macht: das Haus richten, flicken oder modernisieren, in dem sie wohnt. Aber dazu später.
Einen unschlagbaren Zeitgeistauftritt hat die Figur Burkard Weißwerth. Auch Literat. Für ein Lifestyle-Magazin à la Landlust. Früher chefig, heute freischaffend-selbstständig. Weil er in seiner Ehe nicht mehr so der Held ist, kauft er seiner lieben Gattin einen „Resthof“, also einen alten Bauernhof im alten Land. Während bei Anne also ob des schlimmen Ehemanns die Nerven blank liegen, bewegt sich Burkard mit seinem Liegerad liegend durchs alte Land. Und sammelt Material für den nächsten Artikel. So schnappt er sich den Traktor von Obstbauer Dirk zum Felde, um sich von seinem Kameramann ablichten zu lassen. Passen Sie auf, eine der besten Szenen:
Burkard Weißwerth konnte das Ding (den Traktor) zwar nicht fahren, aber er sah extrem gut aus auf Landmaschinen, die Kordhose von Manufactum scheinbar achtlos in seine Gummistiefel aus Naturkautschuk gestopft, die Hemdsärmel aufgerollt, die Augen unter der breiten Krempe seines weichen Hutes ganz leicht zusammengekniffen, Blick in die Ferne. Ein Bild von einem Landmann. So sahen Menschen mit Visionen aus.
Dass dann der Obstbauer Dirk zum Felde auch mal wieder was arbeiten muss, will der Fotograf vom Herrn Weißwerth nun nicht so recht verstehen. So werden die beiden hippsterigen Vorstadt-Helden von Dirk vom Hof gejagt. Das Stativ wirft er dem Kameramann hinterher. Das steht zwar im Buch, aber im Hörbuch wird das den Hörerohren vorenthalten.
Das Buch wurde auch wunderbar verfilmt. Mit Iris Berben als Vera. Aber auch da fällt was weg, was im Buch blendend hochlichtert.
Vera und Nachbar Hinni (Heinrich Lührs) machen Rehwurst. Morgens früh. Es knirscht ein bisserl, wie sich die Fleisch- und Fettberge durch den Fleischwolf zwängen. Weiße und rote Fäden aus einst lebendigem Rehlein fallen in die Schüssel. Veras Schürze ist blutverschmiert.
Vera Eckhoff ging in die Speisekammer und holte ein Bündel transparenter Schläuche, die aussahen wie Kondome in Überlänge, Heinrich Lührs hatte die Wurstmasse in eine Art Silikonspritze gefüllt und fing an, sie langsam in die Därme zu drücken. Burkard Weißwerth verließ wortlos die Küche. „Wat nu denn?“ sagte Heinrich Lührs und legte den Wurststopfer kurz zur Seite. „Kreisloop oder Vegetarier“, murmelte Vera und zuckte mit den Achseln.
Die wichtigste handelnde Person im ganzen Stück ist das Haus. Wie das alte Haus von Rocky Docky, einst besungen von Bruce Low möchte man über das Haus von Vera Eckhoff singen: „Kein Wunder dass es zittert // Kein Wunder dass es bebt // das Haus (…) sah Angst und Pein und Not // Es wartet jeden Abend auf's neue Morgenrot“.
Jedenfalls hat das Haus viel Angst und Pein gesehen. Und hat ein Eigenleben. Und mit der gestrandeten Anne und ihrem Söhnchen zwei neue Bewohner. Was man nicht ahnt: Anne ist Schreinerin. Und mit ein paar Schreiners- und Zimmermannskumpanen geht’s ans renovieren, richten, dichten, neubefenstern und Bier trinken.
Jedenfalls empfehle ich Ihnen Dörte Hansen „Altes Land“ als herausragendes geistiges Getränk. Okay, Sie können auch ein Bier oder eine Schnapsbohne dazu greifen.
Dörte Hansen: Altes Land. Penguin Verlag, ISBN: 978-3-328-10012-6, 12 Euro.
Dieses Buch wurde auch verfilmt: Hier geht's zum Trailer
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Rainer Horn. Seine gesamten Buchrezensionen finden Sie hier: Buchrezensionen unseres Gastautoren Rainer Horn »
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